Interview mit der Stiftung Warentest: „Hochwertiges Fernsehen wird in der Zukunft leider teurer!
Seit 1966 vergleicht die Stiftung Warentest für den Verbraucher unabhängig und objektiv Produkte des täglichen Lebens. Neben den Untersuchungen gibt es Reports, Tipps und Trends für die Verbraucher in den monatlich erscheinenden Zeitschriften test, finanztest sowie online über test.de. Natürlich werden auch neue technische Errungenschaften getestet.
Ende September gab es einen Online-Expertenchat (Protokoll hier), der einige Fragen im Bereich TV beantwortet hat. Wir hatten das Vergnügen, vom Projektleiter Bernd Schwenke noch weitere Ein- und Ausblicke zu erhalten. Er ist in der Abteilung I tätig, die Tests zu den Themen Audio, Video, Computer und Telekommunikation durchführt.
B. Schwenke: Viele Kabelkunden wissen nicht, dass an ihren Anschlussdosen bereits digitale Signale anliegen. Analogfernsehen wird noch genutzt, obwohl bessere Qualitäten digital verfügbar sind. Typische Störungsfälle beim analogen Fernsehen sind verrauschte oder mit Mustern überzogene Bilder. Beim Digitalempfang gibt es gelegentliche Bildstörungen (Einfrierung, Klötzchenbildung) am Abend. Viele Kabelkunden kennen Ihren Kabelanbieter nicht - sie wissen nicht, an wen sie sich im Störungsfalle wenden sollen.
B. Schwenke: Notwendig für die Übertragung von Fernsehbildern ist eine leistungsfähige und zuverlässige Internetanbindung. Die notwendige Internet-Infrastruktur großflächig auszubreiten ist teuer und amortisiert sich nur, wenn sie viele zahlungsbereite Nutzer erreicht. Die für ein einzelnes Fernsehprogramm notwendigen Datenraten betragen 6 bis 12 Megabit pro Sekunde. Derzeit sind diese aus technischen Gründen nicht über lange Telefonleitungen oder via Funk gleichzeitig für alle übertragbar.
Doch es gibt positive Entwicklungen, zum einen in Richtung Glasfaser, welche über größere Entfernungen sehr leistungsfähige Internetanbindungen ermöglichen. Zum anderen werden leistungsfähigere Videocodecs dabei helfen, vorhandene Bandbreiten besser zu nutzen. Ein zusätzlicher Ausbau der mobilen Netze (3.5G Funklösungen, UMTS-Hochgeschwindigkeits oder der 4G-LTE-Mobilfunk-Technologie) ist zwar vorgesehen, Funknetze sind aber kaum für das IP-Fernsehen geeignet.
Deutschland verfügt über ein leistungsstarkes, terrestrisches Sendernetz. Dieses versorgt die meisten Haushalte kostenfrei mit terrestrischen Fernsehsignalen. Mehr als die Hälfte der Haushalte wird via Fernsehkabel versorgt, die Kabelanbieter umwerben ihre Kunden mit Zusatzangeboten, Pay-TV-Programmen, kabelgebundenem Telefon und Internetanschlüssen. Das deutschsprachige Angebot von Fernsehprogrammen über Satellit ist im Vergleich zum Angebot aus europäischen Nachbarländern sehr umfangreich. In diesem Wettbewerbsumfeld muss IPTV um zahlende Zuschauer werben, das ist nicht einfach. Möglicherweise entscheiden sich die Zuschauer für das Programm z. B. Live-Bundesligafußball - und nicht für den Übertragungsweg.
B. Schwenke: Auf der technischen Seite: Digital wird normal, hoch aufgelöstes Fernsehen wird zum Standard, Analog-PAL ist technisch überholt. Als Verbraucherschützer bedauern wir, dass hochwertiges Fernsehen in der Zukunft teurer wird. Die zukünftigen Fernsehkosten werden auch von den Inhalten, der Übertragungsqualität, der Aktualität und der Glaubwürdigkeit abhängen. Zuschauer werden lernen müssen, sich in dieser was-wie-wann-warum–Fernsehwelt zu orientieren. Die Übertragungswege werden unwichtiger, sie sind einfach vorhanden. Einige Sendeformate der Privatfernsehsender oder auch Tendenzen in der italienischen Fernsehwelt zeigen, wie Glaubwürdigkeit demontiert werden kann.
B. Schwenke: Noch für lange Zeit werden die Broadcast-Fernsehübertragungen den Live-Fernsehmarkt beherrschen. Individuelle Fernsehbilder auf Computern via Verteildiensten wie Zattoo oder YouTube sind besonders unter jüngeren Nutzern beliebt. Viele neue Fernseher beinhalten neben den Broadcast-Empfängern auch einen Netzwerk- oder Internetzugang, die Mediatheken oder YouTube ins Wohnzimmer bringen. Das deutet auf ein Nebeneinander der Technologien Live-Broadcast und IP-Individualität hin.
Ein weiterer Punkt erscheint mir in diesem Zusammenhang wichtig: die Glaubwürdigkeit und Seriosität des Fernseh-Programmangebotes. Live-Fernsehen ist ein flüchtiges Medium, ein "versprochenes" Wort kann durch ein einfaches Neuaussprechen korrigiert werden. Verantwortungsvolle Programmredakteure trafen eine Auswahl des sendefähigen Materials, offensichtlicher Unsinn wurde eher selten wiederholt.
Bei Videoportalen gelten etwas andere Spielregeln: Was Spaß macht, wird geladen und weiterempfohlen. Verantwortungsvolle Zuschauer werden lernen, die verschiedenen Niveaus zwischen Live-Fernsehen der öffentlich-rechtlichen Sender und YouTube Downloads zu unterscheiden.
B. Schwenke: Die Programmangebote in HD werden sich durchsetzen, sobald geklärt ist, wie HD wirtschaftlich ertragsreicher wird als Analog- oder SD-Empfang. Derzeit wird vielseitig experimentiert, HD+, SKY-HD, Kabeleinspeisungen und Nichteinspeisungen von HD-Programmen zeigen die Rangeleien der beteiligten Branche um Vormachtstellung und Einnahmen. HD ist im Broadcastbereich nicht mehr ein vorrangig technisches Problem, im IP-Bereich fehlen an vielen Orten die notwendigen Übertragungsbandbreiten – und bleiben auch zukünftig knapp.
B. Schwenke: Die Menge und Vielfalt der 3D-Angebote sind derzeit noch arg begrenzt, mannigfaltige Bildfehler und die individuell nicht immer gegebene Verträglichkeit der Zuschauer mit aktueller 3D-Technik sind weitere Hürden. Es fehlen Standards und Kompatibilitäten in der Übertragungskette und bei den Endgeräten. 3D-Brillen funktionieren beispielsweise nicht herstellerübergreifend an anderen Fernsehern.
Hier muss die Anbieterseite zu Einigungen kommen, damit für die Zuschauer das Risiko einer Fehlinvestition sinkt. Im Kino, Kaufhaus oder auf Messen finde ich die 3D-Präsentationen absolut sehenswert - aus Technikinteresse heraus. Neben dem Pegelstand in der Geldbörse begründet aber auch die persönliche Begeisterungsfähigkeit für z. B. 3D-Fußballübertragungen manchen Kauf.
Weiterführendes:
» IPTV Anbieter im Vergleich» IPTV Vorteile im Überblick
» Übersicht WebTV Sender