„Wir als TV-Anbieter greifen gesellschaftliche Impulse auf.“ – Interview mit Mirja Bächle-Gerstmann, Sky Deutschland


Mirja Bächle-Gerstmann
Im Rahmen des „EuroITV 2012“ Fachkongress führte IPTV-Anbieter.info ein Interview mit Mirja Bächle-Gerstmann, Senior Management Product Insight bei Sky Deutschland. Auf dem Event hielt sie einen Vortrag über die Notwendigkeit von neuen, interaktiven TV-Angeboten („lean-forward“) im Vergleich zu den herkömmlichen, passiven Fernsehfunktionen („lean-back“). Grund genug für uns, zu diesem Thema noch einmal genauer nachzuhaken.

IPTV-Anbieter.info: Frau Bächle-Gerstmann, vorab erst einmal vielen Dank für das Interview. Zum Thema: Auf der „EuroITV 2012“ sprachen Sie über „lean-back vs. lean-forward“, und ob die Zuschauer überhaupt zunehmend mehr Interaktions- und Kontrollmöglichkeiten benötigen. Wie schätzen Sie diese Situation generell ein?

M. Bächle-Gerstmann: Wir dürfen bei der ganzen Diskussion um „lean-back“ und „lean-forward“ nicht aus den Augen verlieren, warum die Menschen eigentlich fernsehen. Einer der Hauptgründe neben dem Unterhaltungs- und Informationsbedarf ist nämlich die pure Entspannung. Diese finden die meisten Menschen nicht bei der aktiven Auswahl von Inhalten oder ständiger Interaktion, sondern in einer eher passiven „zurückgelehnten“ Nutzungssituation. Hier besticht das klassische Fernsehen durch seine Einfachheit: „Kiste an, durchzappen und schauen, was gefällt.“ Aber genau hier liegt auch der Knackpunkt. Es findet sich eben nicht immer etwas, das gefällt und bei einem immer größer werdenden Angebot an Bewegtbildinhalten sind auf einmal immer mehr Menschen dazu bereit, aktiv zu werden und die „lean-back“-Haltung aufzugeben. Zumindest bis der passende TV-Inhalt gefunden wurde.



IPTV-Anbieter.info: Besteht ein Bedarf für „lean-forward“-Angebote auf dem TV-Screen? Oder handelt es sich dabei nur um eine vorübergehende „Modeerscheinung“ von Seiten der Entwickler und Hersteller?

M. Bächle-Gerstmann: Es handelt sich keinesfalls um eine Modeerscheinung. Viele Menschen weltweit müssen sich in ihrem Alltag mit immer mehr Einflüssen und Druck von außen auseinander setzen. Ob das härtere Arbeitsbedingungen, ständige Erreichbarkeit oder der immer schneller werdende technische Fortschritt sind. Die verbleibende freie Zeit wollen viele Menschen dann nach ihrem Geschmack und ihrem eigenen Tempo verbringen und sich nicht nach starren Sendezeiten oder „Mainstream“-Angeboten richten. Es gibt hier also einen klaren Bedarf, der sich gesellschaftlich erklären lässt. Wir als TV-Anbieter greifen diese gesellschaftlichen Impulse lediglich auf.

IPTV-Anbieter.info: Tablet-PCs übernehmen mittlerweile schon viele Funktionen, für die bis vor kurzem noch Laptops benötigt wurden. Werden Fernsehgeräte in Zukunft auch immer mehr die Funktionen von heimischen Desktop-PCs übernehmen?

M. Bächle-Gerstmann: Wenn es um den Konsum von Bewegtbildinhalten oder Gaming geht, ja. Hier bestechen die neuen Fernsehbildschirme einfach durch Bildqualität und Größe. Anders hingegen verhält es sich mit Tätigkeiten, die traditionellerweise ein Keyboard und eine Maus benötigen, d.h. schriftliche Kommunikation, Bildbearbeitung oder Recherchen. Die bisherigen Versuche, diese Tätigkeiten auf den TV-Screen zu übertragen (z.B. über Fernbedienungen mit eingebauten Keyboard oder Spracheingabesysteme), sind meiner Meinung nach noch nicht ausgereift genug. Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass ein TV-Gerät nach wie vor meist von mehreren Nutzern im Haushalt genutzt wird. Beim Gamen kann das ja noch funktionieren, beim Kommunizieren mit Freunden z.B. über Facebook eher weniger. Da bietet sich eher das personenbezogene Smartphone an.

IPTV-Anbieter.info: Was sind sinnvolle Szenarien für eine „lean-forward“-Nutzung auf dem TV-Gerät?

M. Bächle-Gerstmann: Ein sinnvolles Szenario könnte sein, dass das TV-Gerät mit anderen Geräten, wie zum Beispiel dem Smartphone „spricht“ und ich dadurch vermeintlich komplexe Aktivitäten (wie das Eintippen einer E-Mailadresse als Login oder das Programmieren einer Filmaufnahme von unterwegs) bequem über einen „Second Screen“ lösen kann. Die Informationen werden dann über das Internet direkt an das TV-Gerät oder den Receiver übertragen.

IPTV-Anbieter.info: Was sind weniger sinnvolle Szenarien für eine „lean-forward“-Nutzung, die vermieden werden sollten?

M. Bächle-Gerstmann: Wie bereits erwähnt, bin ich der Meinung, dass ein TV-Gerät nicht alles können muss. Für jede Tätigkeit und jeden Nutzungskontext gibt es heutzutage eine Vielzahl an Geräten, unter denen ich eines auswählen muss. Der Fernseher bleibt für mich ein Gerät zur Information, Unterhaltung und Entspannung.

IPTV-Anbieter.info: Liegt die Verantwortung, „lean-forward“-Angebote zu schaffen, eher bei den Geräteherstellern und Betreibern von Smart-TV-Plattformen, oder auch bzw. mehr bei den Programmanbietern wie beispielsweise Sky Deutschland?

M. Bächle-Gerstmann: Bei allen gemeinsam. Wenn die Menschen Bedarf an „lean-forward“-Angeboten haben, dann müssen wir diesen Bedarf genau analysieren sowie verstehen und dann gemeinschaftlich an Lösungen arbeiten. Das letzte, was TV-Zuschauer wollen, sind zerklüftete Angebotslandschaften, die keinerlei Standards folgen.

IPTV-Anbieter.info: Wird es in absehbarer Zeit interaktive Angebote für den TV-Screen von Sky Deutschland geben, die dem „lean-forward“-Prinzip entsprechen?

M. Bächle-Gerstmann: Die gibt es bereits. Mit Sky Anytime auf unseren Festplattenreceivern Sky+ haben wir für unsere Kunden bereits ein Video-on-Demand-Angebot geschaffen, das es Ihnen erlaubt, gewünschte Inhalte einfach und schnell direkt von ihrem Receiver abzurufen. Sie müssen einfach die blaue Taste auf Ihrer Fernbedienung drücken und schon sind Sie in einer eigenen Welt mit Filmen, Serien, Dokus und Sport, aus der sie frei wählen können. Die Inhalte werden nachts automatisch auf die Box gepusht. Der Kunde muss sich also um nichts kümmern, es ist nicht mal eine Internetverbindung notwendig.

„Lean-forward“ bei Sky ist also richtig einfach und fühlt sich gar nicht „nach Arbeit“ an. Ein weiteres interaktives Angebot bietet Sky Go, was große Teile unseres Programms auf einer Vielzahl von Endgeräten erhältlich macht. Ob über einen iPad, ein iPhone, den Laptop oder die Xbox. Überall können Sie Fußball gucken oder einen Film passend zu ihrer aktuellen Stimmung auswählen. Sie sehen, „lean-forward“ funktioniert nur, wenn es einfach zu bedienen ist und unsere Kunden einen tatsächlichen Nutzen darin erkennen.

IPTV-Anbieter.info: Sind „lean-forward“-Features mit dem herkömmlichen „lean back“-Fernsehen kombinierbar - beispielsweise in neuen Sendungsformaten? Oder können beide Arten von Angeboten nur parallel auf dem Fernsehgerät existieren?

M. Bächle-Gerstmann: Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, unseren Kunden das beste TV-Erlebnis zu ermöglichen, das es geben kann. Dazu betrachten wir nicht einseitig die „lean-back“- oder die „lean-foward-Welt“. Wir schaffen Produkte, die so intelligent und leicht zu bedienen sind, dass sie sich „lean-back“ anfühlen, unsere Kunden aber automatisch Teil der modernen „lean-forward-Welt“ werden lassen. Wenn Sie so wollen ein „Intelligent Lean-Back“.

IPTV-Anbieter.info: Frau Bächle-Gerstmann, vielen Dank für dieses interessante Interview!

Weiterführendes: 
» Interview mit Sky-Sprecher Dr. Hans-Jürgen Croissant

Portraitbild + Firmensitz: © Mirja Bächle-Gerstmann, Sky Deutschland


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