„Zeitversetzte und mobile Mediennutzung kann man festmachen als einen wesentlichen Bestandteil der Mediennutzung der Zukunft.“ Interview mit Andre Prahl, Bereichsleiter Programmverarbeitung Mediengruppe RTL
Berlin, 07.09.2016: Wird sich lineares Fernsehen in naher Zukunft zum Randgruppenmodell entwickeln? Wird der seit Jahren prophezeite Trend vom eigenen Programmdirektor in jedem Wohnzimmer nun tatsächlich eintreten? Darüber und über viele andere Fragen haben wir mit Andre Prahl gesprochen.
Andre Prahl: Wir haben immer noch eine sehr starke Nutzung des linearen, klassischen Fernsehens. Mit durchschnittlich 200 Minuten TV-Konsum am Tag, ist das nach wie vor die meistgenutzte Medienkonsumart. Die anderen Angebote werden im Vergleich wesentlich weniger konsumiert. Dennoch bilden sich klar neue Tendenzen heraus. Ein Trend, den wir verzeichnen, die Mediatheken und VoD-Angebote haben zunehmen Zulauf. Daneben gewinnt die Mobilisierung der Mediennutzung, d.h. die Nutzung auf mobilen Geräten wie Smartphones oder Tablets, deutlich an Bedeutung. Und natürlich auch die Frage der Bildqualität rückt zunehmend in den Fokus. Die Geräteindustrie verkauft mittlerweile sehr viele Ultra HD-fähige Geräte. Um es zusammen zu fassen, zeitversetzte und mobile Mediennutzung kann man festmachen als einen wesentlichen Bestandteil der Mediennutzung der Zukunft.
Andre Prahl: Ich glaube, in jedem Einzelnen von uns und vor allem in großen Gruppen der Bevölkerung steckt das Bedürfnis, sich einfach mal zurück zu lehnen und berieseln zu lassen. Diese Zuschauer wollen nicht immer zu jedem Zeitpunkt aktiv Inhalte auswählen und souverän sein. Sie wollen einfach, dass andere, Medien für sie bereit stellen. Da gibt es im Non-linearen Bereich noch viel zu tun, auch für diese Gruppen Angebote bereit zu stellen.
Andre Prahl: SmartTV-Geräte, also internetfähige und mit Benutzeroberfläche ausgestattete Fernsehgeräte, sind mittlerweile Standard. Die verkaufen sich hervorragend. Der Anteil interaktiver SmartTV´s überwiegt deutlich in der Gesamtmenge der Fernsehgeräte. Ich glaube, in Summe verkauft kein Hersteller mehr Geräte ohne SmartTV Funktion. Allerdings stellen wir auch fest, dass die Nutzung der Smart-Funktionen noch gesteigert werden kann. Wichtig ist hierbei immer die Frage, welche Inhalte sind überhaupt vertreten und wie können diese Inhalte genutzt werden. Die Technik ist verfügbar, jetzt müssen wir nur noch die anderen Aspekte bearbeiten.
Andre Prahl: Das ist sehr unterschiedlich. Nehmen wir das Beispiel Virtual Reality. Im Bereich des Gamings setzt sich VR schon durch, weil es eine attraktive Nutzungsart ist. Es ist sicher eine Technologie die auch für andere Bereiche interessant sein kann. In der Fernseh- und Mediennutzung allerdings steht sie ganz am Anfang. Betrachtet man den Onlinebereich, zeichnet sich ab, dass die zeitversetzte Nutzung stark zunehmen wird. Andere Technologien wie HbbTV 2.0 stehen auch noch am Anfang. Bei vielen Dingen ist noch offen, ob und wann sie wirklich intensiv von den Zuschauern genutzt werden.
Andre Prahl: Man muss da unterscheiden. Die technologische Basis, die Verfügbarkeit des Standards ist schon vorhanden. Über den Red Button zeigen wir dem Zuschauer, dass Inhalte verborgen sind. Allerdings gibt es hinsichtlich der Nutzung sehr große Unterschiede. Die Mediatheken von einzelnen Sendern werden vielfach schon genutzt. Auch die Teletextnachfolge verzeichnet ordentliche Nutzungszahlen. Aber HbbTV ist noch ein Stück weit davon entfernt, einen substantiellen Teil der Mediennutzer abzuziehen. Dennoch glaube ich, das kommt noch. Es findet eine permanente Entwicklung auf der Inhaltsebene statt. Es ist noch ausbaufähig, aber der Trend geht hin zu einer Individualisierung der Nutzer.
Andre Prahl: Der neue Standard ermöglicht die Interaktion von mehreren Bildschirmen miteinander. Während das Programm auf dem Hauptbildschirm geschaut wird, können auf anderen Geräten wie Smartphone oder Tablet die entsprechenden Zusatzinformationen abgerufen werden. Der Hauptbildschirm triggert sozusagen die Nebenbildschirme und spiegelt die Zusatzdienste dorthin.
Ein klassisches Beispiel ist wie gesagt das Abrufen von Zusatzdiensten zu einer Sendung. Im Bereich Virtual Reality wird es sicherlich auch Anwendung finden, aber ich glaube nicht, dass es hier dominieren wird. Aber wenn Fernsehsender und Rundfunkanbieter zunehmend ihre Sendungen online begleiten, kann das natürlich auch durch Virtual Reality Elemente passieren, die auf einem zweiten Bildschirm dargeboten werden.
Andre Prahl: Die Verbindung von Broadcast und Broadband, das Umschalten einer Rundfunkverbreitung sozusagen vom Gießkannenprinzip auf Einzelzuspielung, ist ein Thema, das mit der Individualisierung von Inhalten zusammenhängt. In dem Moment, wo alle dasselbe sehen wollen, ist der Broadcast-Verbreitungsweg der bessere. Je kleiner die Nutzergruppen für einzelne Inhaltsangebote werden, desto wirtschaftlich interessanter wird die individuelle Zuspielung übers Internet. Hier Mischformen zu finden, ist in Sichtweite. Die technischen Standards dahinter müssen allerdings noch definiert und hergestellt werden, damit Anbieter, Infrastruktur und Gerätebetreiber miteinander arbeiten können.
Andre Prahl: Die Studie hat sich mit der Mediennutzung im Auto im Hinblick auf das selbstfahrende Auto beschäftigt. Erstaunlich war, dass die Mediennutzung im Fahrzeug von vielen, insbesondere von den Jüngeren mit über 60 Prozent als sehr attraktives Feature empfunden wurde. Also im Bereich des selbstfahrenden Autos ein klarer Trendsetter. Ist ja auch klar, wenn man sich selber nicht mehr auf den Verkehr konzentrieren muss, dann kann man auch einen Film schauen.
Eine Herausforderung hier ist vor allem das Thema Übertragungstechnik, denn die Programminhalte müssen ja erst mal im Auto verfügbar sein. Eine Möglichkeit wäre DVB-T2 HD, eine andere die Verbreitung über den Mobilfunk. Aber wer schon mal mit dem Zug quer durch Deutschland gefahren ist und versucht hat, durchgehend live Fernsehen zu schauen, der wird in das eine oder andere Funkloch geraten sein. Also da ist übertragungstechnisch sicherlich noch einiges zu leisten, gerade, was den Breitbandausbau angeht. Aber der Bedarf, Medieninhalte mobil zu konsumieren, der ist zweifellos gegeben.
andere Fotos im Artikel: © IPTV-Anbieter.info;